Lars Klingbeil, ich habe keine Nazis gesehen

Faktencheck am Wahltag im Eichsfeld (Thüringen)

Am letzten Sonntag, am Tag der Landtagswahl, war ich mal wieder einen ganzen Tag in Thüringen. Auf die Idee gebracht hat mich der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil. Der hatte am Abend der Europawahl vor ein paar Wochen für die SPD klargestellt, dass er ALLE Wähler der AFD für „Nazis“ halte. Harter Tobak vom Vorsitzenden einer siechen Volkspartei, vier Wochen vor zwei wichtigen Landtagswahlen im Osten.

Klingbeils Aussage war weder faktenbasiert, noch Wahlkampf! Denn im Wahlkampf will man doch Wähler für sich gewinnen, nicht beleidigen und vergrätzen. Und gäbe es tatsächlich so viele Nazis, wie von Klingbeil behauptet, hätte er doch mindestens den Einsatz der Bundeswehr zur Sicherung der Landtagswahlen vor marodierenden Nazihorden fordern müssen. Also hat Lars Klingbeil am Wahlabend der Europawahl geblubbert, was seine Blase hören will: Alles Nazis. Solcher Unsinn von so prominenten Sozialdemokraten provoziert den Politologen in mir.

Wahlen sind vor allem anderen geheim
Doch wie führt man in diesem Fall einen vernünftigen Fakten-Check durch? Am besten man spricht mit den Wählern vor Ort. Was allerdings für Nicht-Politiker im richtigen Leben nicht so einfach ist, wie man denkt. Denn gerade weil Wahlen bei uns nicht nur frei, sondern auch geheim sind, wird von den Wahlleitern und den ehrenamtlichen Wahlhelfern peinlich darauf geachtet, dass zumindest innerhalb des Wahllokals niemand über seine individuelle Wahlentscheidung spricht. Und vor Wahllokalen herumlungern und Wähler auf ihre Wahlentscheidung anzusprechen, ist vermutlich sogar verboten. Außer man ist offiziell im Auftrag der Wahlforschung unterwegs. 😉

Wahltagsbefragungen machen Sinn
Dass Meinungsforschungsinstitute am Wahltag im Auftrag des gebührenfinanzierten Rundfunks Wähler nach Verlassen des Wahllokals befragen dürfen, ist im allgemeinen Interesse und zudem gesetzlich geregelt. Auch diese Befragungen sind anonym und die Ergebnisse dürfen nicht vor Schließung der Wahllokale publiziert werden. Die an Dutzenden von Wahllokalen den ganzen Tag über anonym erhobenen Daten werden alle paar Stunden telefonisch übermittelt, zusammengeführt und um 18 Uhr als Wahlprognose von ARD und ZDF veröffentlicht. Die Prognosen sind meist erstaunlich gut – aber fast immer binnen einer Stunde von den realen Auszählungsergebnissen überholt. Auch wenn es die Gebührenmuffel bestreiten werden, solche Befragungen lohnen sich trotzdem. Denn einen eigenen wissenschaftlichen Wert erlangen sie durch die über die Wahlentscheidung hinaus erhobenen Daten zu Geschlecht, Alter, Beruf und Berufstätigkeit, Gewerkschaftsmitgliedschaft (sic!) und die Frage nach der letzten Wahlentscheidung. Nur im Wege solcher wahlnahen, persönlichen Befragungen lassen sich verlässliche Aussagen, z.B. über die Parteipräferenzen über die Altersgruppen hinweg oder die Wählerwanderung, treffen.

Faktencheck am Wahltag im Eichsfeld (Thüringen)
Und so war ich letzten Sonntag, am Tag der Landtagswahl, im schönen Thüringen. Und habe als Mitarbeiter eines Meinungsforschungsinstituts den ganzen Tag vor einem Eichsfelder Wahllokal im Dienste der Wissenschaft Daten erhoben. Da ich das Endergebnis zu übertragen hatte, wohnte ich auch der öffentlichen Auszählung bei. Wäre es nötig, ich würde dem Wahlvorstand eine perfekte Durchführung der Wahl attestieren. Nicht nur, dass die Wahl an sich absolut demokratisch und rechtskonform durchgeführt und ausgezählt wurde, nicht anderes war zu erwarten gewesen – es war auch den ganzen Tag vortrefflich für das leibliche Wohl der ehrenamtlichen Wahlhelfer und Meinungsforscher gesorgt.

Jetzt zum fiesen Finale dieses Textes, immerhin habe ich der Widerlegung Klingbeils dummer These mehrere Tage meiner Lebenszeit gewidmet.

Den ganzen Tag kein einziger Nazi!
Ich stand 10 Stunden vor einem Eichsfelder Wahllokal. Es war ein wunderbarer Spätsommertag im ländlichen Thüringen. Der Ort sauber und ordentlich, die Atmosphäre war entspannt, die Wahlbeteiligung lag um die 80%. Zwar wollte sich nicht jeder befragen lassen, einzelne Männer reagierten auch deutlich ablehnend.

Aber ich habe an diesem Tag KEINEN EINZIGEN NAZI gesehen. Jedenfalls niemanden, der als Nazi gelesen werden wollte. Ich habe keinen Nazi-Spruch gehört, kein Nazi-Shirt gesehen, keine faschistische Geste, keine Fahnen, keine braunen Horden, nichts von alldem.

Und jetzt, lieber Lars Klingbeil, gucken wir uns mal gemeinsam an, welche Antwort dir die Eichsfelder letzten Sonntag über den Wahlzettel gegeben haben.

Wenn ich richtig gerechnet habe, entfielen in diesem zufällig ausgewählten Thüringer Wahllokal insgesamt 5,2% der Zweitstimmen auf die drei Ampel-Parteien.

Oder in ganzen Zahlen für den SPD-Vorsitzenden: Von insgesamt 269 in diesem Wahllokal abgegebenen gültigen Zweit- bzw. Landesstimmen entfielen SIEBEN auf die Kanzlerpartei SPD.

Ich versage mir jeden Spott, nicht dass ich noch der Leichenschändung bezichtigt werde.

Martin Schuler
Freier Publizist

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert